Ein Interview mit einem fiktiven Magazin namens „Curiosità“, das die Neugier seiner Leserinnen und Leser befriedigen will. Es hat nichts mit Zeitschriften zu tun, die eventuell wirklich so heißen.
Die Antworten hingegen beziehen sich schon ganz konkret auf meine Bücher.
Curiosità: Frau Borini, Sie schreiben Kinderbücher, Romane, Jugendbücher. Gibt es eigentlich einen roten Faden bei Ihren Veröffentlichungen?
Borini: Grundsätzlich ’schnappe‘ ich mir ein Thema, das mir gefällt. Dennoch sind die Bücher dichter beisammen, als es zunächst den Anschein hat. Die Kinderbücher enthalten Ebenen, die wohl erst für erwachsene Vorleser erkennbar werden. Deshalb nenne ich sie auch ‚Bücher für erwachsene Kinder‘. Es ist aber nicht so, dass sie kleineren Kindern keinen Spaß bereiten.
Curiosità: Thema Jugendbücher – Die Geschichte von Annika und Chiòcciola…
Borini: Annika und Dennis sind Zwillinge, die zu Anfang der Geschichte fünfzehn Jahre alt sind und ihre Sommerferien in Brandenburg verbringen. Spannung entsteht, als Aliens vom anderen Ende der Milchstraße in ihrer Straße landen, die ihre Hilfe benötigen. Aus dieser Freundschaft entwickelt sich zwischen Annika und Chiòcciola, dem Alien, eine Beziehung. Dennis muss, um Chiòcciola zu retten, ans Ende der Milchstraße reisen und wird dort mit einer fremden Welt mit neuen Problemen konfrontiert. Er erweist sich aber als sehr geschickt, Lösungen zu finden.
Die Anfänge dieser Geschichte liegen lange zurück, über zehn Jahre vielleicht. Ich hatte eine Geschichte angefangen, aber nach drei, vier Kapiteln aufgehört. Irgendwann, das war kurz nachdem ich ‚Katzen statt Pesaro‘ veröffentlicht hatte, habe ich den vorhandenen Text einmal einer größeren Gruppe vorgestellt. Die Resonanz war eindeutig: Die Geschichte muss zu Ende erzählt werden! Also habe ich das Buch zu Ende geschrieben. Die Testleserinnen haben mich später ermuntert, die Geschichte weiterzuschreiben, also folgten Band zwei und nun Band drei. Der hat etwas länger gedauert, weil immer wieder andere Projekte dazwischenkamen.
Curiosità: Das ist als reine Jugendbuchreihe konzipiert?
Borini: Die Geschichte ist weiter gefächert. Zum einen werden die Personen von Band zu Band älter und sammeln Lebenserfahrung. Zum anderen sind die Aliens ja um den Faktor zehn älter, als Annika und Dennis von der Erde. Die Lebensspanne am anderen Ende der Milchstraße beträgt bis zu 1.000 Jahre. Aber letztlich sind die Erfahrungen, um die es geht, ja in jedem Lebensalter immer wieder neu und brennend.
Curiosità: Welche Erfahrungen konkret?
Borini: Liebe, Hass, das Lösen von Problemen, die Überzeugung anderer durch Argumente und das Reagieren auf Argumente anderer. Dazu kommt das Verhältnis von innerer und äußerer Schönheit. Und, nicht zu vergessen, der ganze Gender-Kram.
Curiosità: Gender-Kram?
Borini: Die Leute auf Chiòcchiolas Planeten leben nicht nur in frei gewählter äußerer Form, sondern die Geschlechterfrage wird erst in dem Moment entschieden, in dem es konkret um Nachwuchs geht. Der italienische Name Chiòcciola ist Programm: Wie bei den Schnecken, wird erst bei der Zeugung die künftige Rolle abgestimmt. Wer wird Mama, wer wird Papa? Das hat natürlich auf die Form der Gesellschaft und den Umgang miteinander enorme Auswirkungen. Ähnlich wie die äußere Form: Wenn man seine Form beliebig wählen kann, dann bekommt Klugheit eine ganz eigene Gewichtung. Dazu kommt die Fähigkeit, Gedanken zu lesen. Zumindest in gewissen Situationen. Es hat mir Spaß gemacht, das durchzuspielen, was solche veränderten Rahmenbedingungen auf eine Gesellschaft für Auswirkungen haben. So konnte ich auch eine in einigen wesentlichen Punkten unterschiedliche Gegenwelt entstehen lassen.
Curiosità: Was macht die Klugheit so besonders?
Borini: Wenn die äußere Gestalt beliebig ist, dann wird etwas Anderes zum Merkmal des Besonderen und damit wahrscheinlich auch zur Partnerfindung. Bei den Aliens tritt an die Stelle der Schönheit die Klugheit. Wer besonders klug ist, wirkt attraktiv auf sein Gegenüber. Dazu kommt, dass Klugheit natürlich besonders hervorspringt, wenn alle die Gedanken der Anderen kennen. Stellen Sie sich vor, was die Transparenz der Gedanken allein auf die Politik für Auswirkungen hätte.
Dennis erscheint in dieser Welt äußerst begehrenswert. Und er stellt seine Klugheit ja auch unter Beweis, indem er sich des Problems dieser fremden Welt annimmt. Und er kennt Methoden, die dort zunächst noch unbekannt sind.
Curiosità: Welche Hintergrundinformationen können Sie uns zu Safya geben?
Borini: Die Geschichte ist zunächst rein fiktiv. Bei den Aliens muss man das ja nicht ausdrücklich sagen. Safya ist Jessidin. Das Buch ist aber nicht als erschöpfende Schilderung der jessisidischen Religion zu verstehen. Das Jessidentum erschien mir als Religion, die sich über die Jahrhunderte hinweg der Gedanken anderer Glaubensgemeinschaften bedient hat, geeignet für die Geschichte. Es hätte aber auch jede andere Religion außerhalb der Konfrontationslinie Christentum-Islam sein können. Die Geschichte hätte dann halt anders erzählt werden müssen, aber hier ist ohnehin Fiktion im Spiel.
Die jessidische Religion hatte für mich den Charme, dass ich den religionswissenschaftlich arbeitenden Vater relativ spannungsfrei einfügen konnte. Der erschien mir notwendig, um dieser altklugen Zwölfjährigen eine Quelle für ihr Wissen glaubhaft zuschreiben zu können. Und die Hauptfigur musste sich an der Grenze der Pubertät befinden, damit der Spannungsbogen im zweiten Band möglich wurde.
Primär geht es natürlich um eine Person, die unbeteiligt in eine Grenzlinie zwischen zwei Parteien gerät, in den Mittelpunkt eines Konflikts gelangt, der nicht der eigene ist. Und, letztlich um Hass und dessen Auswirkungen.
Curiosità: Deswegen endet die Geschichte auch auf der Intensivstation?
Borini: Ja, ich wollte nicht auf den letzten Seiten schreiben, dass alles wieder gut ist, nur um ein ‚Happy End‘ zu bekommen. Hass ist Gewalt, und Gewalt tötet potentiell. Dass sollte so mit seinen Konsequenzen klar herauskommen.
Ich habe mich aber frühzeitig bemüht, zu kommunizieren, dass es einen zweiten Band geben wird.
Curiosità: Ist das für die Leser nicht eine Zumutung?
Borini: Für die Leser, die auf den zweiten Band warten mussten, vielleicht. Aber nun sind ja beide Bände erschienen, und man kann gleich weiterlesen. Für die geplante Theaterfassung ist das natürlich ein Problem.
Curiosità: Es ist eine Theaterfassung geplant?
Borini: Ich arbeite mit einer engagierten Berliner Laien-Theatergruppe zusammen, die gewillt ist, das Stück auf die Bühne zu bringen. Hier müssen wir natürlich einen Kniff anwenden. Ich kann die Zuschauer nicht mit einer Safya auf der Intensivstation nach Hause schicken. Beide Bände bieten andererseits auch zu viel Stoff für eine Vorführung. Wir werden uns also etwas überlegen müssen…
Curiosità: Die Theaterfassung wird sich also von dem Buch unterscheiden?
Borini: Ja, es wird weniger Reisen geben, alles andere ist für eine kleine Theatergruppe auf einer einfachen Bühne nicht realisierbar. Aber das Grundthema wird das gleiche bleiben.
Curiosità: Katzen. In allen Ihren Büchern tauschen Katzen auf?
Borini: Ja, selbst in der Welt auf der anderen Seite der Milchstraße sind katzenartige Wesen zuhause. Katzen sind in meinem Leben sehr wichtig. Als Jugendliche wollte ich immer einen Hund haben. Aber inzwischen wäre ein Hund nicht so gut in mein Leben zu integrieren. Zumindest, wenn man ihm gerecht werden wollte. Katzen sind da völlig unproblematisch. Ich bin ein wichtiger Bezugspunkt in deren Gemeinschaft und Leben, aber sie sind nicht am Boden zerstört, wenn ich einmal keine Zeit habe. Da sind natürlich fünf Katzen von Vorteil, Langeweile kommt da nicht auf.
Ein einschneidendes Erlebnis während eines besonderen Sommers vor ein paar Jahren, in dem viele Ereignisse mit unseren Katzen auf mich eingeströmt sind, war ja auch der Auslöser für ein Buch, das ich als E-Book ohne Verlag veröffentlicht habe: ‚Katzen statt Pesaro‘. Später kam es noch als gedrucktes Buch heraus, nachdem ich so oft darauf angesprochen worden war. Danach, als der Damm gebrochen war, habe ich mir alte Fragmente auf meinem Computer angesehen, die dann als Keimzellen für weitere Bücher dienten, zunächst die Aliens. Dann kamen neue Ideen, die ich verwirklicht habe. Aber letztlich hat alles mit den Katzen angefangen.
Curiosità: Tatin?
Borini: Tatin ist keine Frage, sondern ein Name. Ein Spitzname, genau genommen.
Curiosita: Was macht Tatin so besonders?
Borini: In ‚Tarte Tatin & Rébellion‘ ist ein anderer Aspekt von Gender/Geschlecht vorherrschend. Bei den Aliens spielt die Geschlechtlichkeit und Familienplanung eine große Rolle, bei Safya wird das Thema Beziehung und kurz auch Intersexualität angesprochen. Bei Tatin stehen gesellschaftliche Aspekte im Vordergrund. Und natürlich die Frage, wie die jeweilige Person diese gesellschaftlichen Normen für sich selbst interpretiert. Das muss nicht zwingend deckungsgleich sein und ist ja immer auch ein Wechselspiel mit den Personen im persönlichen Umfeld.
Hier haben sich zumindest viele Leserinnen mit ihren Erfahrungen wiedererkannt. Die Person der Adeeba in den Safya-Büchern hingegen hat mitunter für Irritation gesorgt. Dabei ist zum Beispiel das Thema AIS, eine Krankheit, bei der männliche Sexualhormone nicht, oder nur bedingt wirken, gar nicht so ein Randgruppenthema, wie man zunächst vermutet. Und, wenn man ehrlich ist, sollte es im 21. Jahrhundert überhaupt kein Tabuthema mehr sein.
Wichtig ist mir dabei, dass in meinen Büchern Charaktere auftauchen, die derartige Aspekte thematisieren, die aber nicht über diese Themenkomplexe charakterisiert werden. Diese Protagonisten meiner Bücher sind ganz normal Handelnde in den Geschichten. Man könnte eventuell den Aspekt sogar weglassen. Aber das Leben ist bunt. Und in Gender-Fragen bunter, als manch einem vielleicht lieb ist. Wir werden in solchen Fragen aber nur weiterkommen, wenn wir mit dem schwarz/weiß-Malen und dem Schubladendenken endlich aufhören.
Curiosità: Die Personen in Ihren Büchern gehen mit den Gender-Themen sehr offen und wohlwollend um. Ist das wirklich Ihre Erfahrung?
Borini: Bei Safya war die gleichgeschlechtliche Partnerschaft zwischen Maren und Melanie wichtig, denn sie dient am Schluss des ersten Buchs als Kristallisationspunkt für den Hass. Ansonsten wird man beim Lesen feststellen, ist eigentlich alles schrecklich normal, was in dieser Partnerschaft passiert. Man könnte einen der Namen auch mit Peter oder Olaf austauschen.
Curiosità: Stört sie der Vorwurf, wenn man behauptet, Ihre Bücher seinen weichgespült?
Borini: Die Welt, in der wir leben, ist voller Probleme. Ich finde, mitunter ist es auch einmal ganz hilfreich, wenn aus diesen riesigen Bergen einmal kleine Hügel werden, die die Hoffnung wecken, dass man sie übersteigen kann. Und bei genauerer Betrachtung agieren die Charaktere ganz normal und suchen kreative Lösungen für ihre jeweiligen Probleme. Sie sind jedenfalls nicht im Bannkreis ihrer möglichen Gender-Problematiken gefangen.
Ich habe zudem im Leben die Erfahrung gemacht, dass alles kommunizier- und vermittelbar ist, wenn man offen auf die Menschen zugeht und ihre Bedenken und Ängste ernst nimmt. Menschen sind eigentlich eine richtig tolle Schöpfung. Sie benötigen vielleicht mitunter einen kleinen Stupser in die richtige Richtung. Mir liegt es näher, etwas zu schildern, wie es ein sollte, als das, was offenkundig falsch läuft, auch noch zu verstärken. Das tun andere doch schon zur Genüge…
… und noch ein ganz wichtiger Aspekt: Die Bücher sollen schließlich unterhalten. Wenn zwischen den Zeilen auch noch andere Gedanken eine Rolle spielen, dann ist das ein schöner Nebeneffekt. Aber auch ohne diese tieferen Gedankengänge sollen die Geschichten lesbar und unterhaltsam sein!
Curiosità: Frau Borini, ich danke Ihnen für das Gespräch.